Lebens(un)wert?

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·@yaraha·
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Lebens(un)wert?
# Was ist lebens(un)wert?

Um die Frage „Ist das denn lebenswert?“ bzw. die Auseinandersetzung mit der Aussage „Das wäre für mich nicht lebenswert!“ kommt man (leider) in der Behindertenhilfe nicht herum. 

Immer wieder bin ich überrascht, wie schnell man sich anmaßt beurteilen zu können, ob ein anderes Leben „nicht mehr lebenswert“ mit anderen Worten **„lebensunwert“** ist. Wohin diese Denkweise führen kann, haben wir in der Historie ja bereits erfahren müssen. Auf diese geschichtliche Aspekte möchte ich hier nun nicht näher eingehen, wichtig ist es wohl dennoch, diese nicht zu verdrängen. 

Spätestens, seit ich in der Gedenkstätte [Hadamar](http://www.gedenkstaette-hadamar.de/webcom/show_article.php/_c-1164/_nr-1/i.html) in der Gaskammer saß und im Anschluss die netten Briefe laß, die man Angehörigen von Menschen mit Behinderung damals schickte, um zu vertuschen, dass diese schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilten, kann ich gewisse Parallelen zwischen einigen damaligen und aktuellen Denkweisen nicht mehr leugnen. 

Es scheint mir hier aktuell, eventuell durch den **Fortschritt der Gentechnologien und Pränatal-Diagnostik** oder den zunehmenden gesellschaftlichen **Druck, „leistungsfähig**“ seien zu müssen, ein ähnliches Motiv zugrunde zu liegen. Denn was macht die damalige Propaganda besser als heute den perfekten Menschen kreieren zu wollen? 

# Wir sollten uns fragen, ob wir wirklich in einer solchen "perfekten" monotonen Gesellschaft leben wollen!

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Hätte man Kosten, Mühen, Leid (er)sparen können, hätte man Petra, Hans oder Axel garnicht erst bekommen? 

Wie berät man Schwangere, welche sich mit dem Dilemma auseinander setzen müssen, ob sie bereits vorher genau Bescheid wissen wollen? 

Wie dann im Anschluss eben diese, die dann eventuell „Gewissheit“ über eine mögliche Behinderung des Ungeborenen haben und nun wiederum entscheiden müssen, „ob das sein muss“?

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# Da stellt sich mir oft die Frage, „Wem“ hier eigentlich etwas erspart werden soll? 

Der Gesellschaft? 
Den Angehörigen? 
Den Mitarbeitern der Einrichtungen? 
Oder etwa der „von Behinderung bedrohten Person“? 

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Einige Denkanstöße zum Thema:

In meinen bisherigen Jahren in der Behindertenhilfe habe ich die verschiedensten Menschen kennen gelernt, unterschiedlichste Schicksale miterlebt und eines habe ich mir vorgenommen: 

Mit dem Urteil über die Wertigkeit eines anderen Lebens, werde ich immer sehr vorsichtig und bedacht umgehen und mir vor Augen halten, dass nur das Individuum selbst, weiß, wie es um das eigene Leben steht!

In einer Einrichtung, welche mit überwiegend körperlich beeinträchtigten Menschen arbeitet, lernte ich unter anderem Menschen kennen, die bei absolut klarem Verstand vom Kopf abwärts gelähmt waren z.B. durch einen Autounfall. Dabei war es sehr interessant, dass einige erzählten, sie haben früher eben genau das gedacht, „dass DAS nicht lebenswert sein kann“. Nach einer Phase der tiefen Depression haben sie dann jedoch teilweise neuen Lebensmut geschöpft und den **„Lebenswert“ für sich neu definiert.**

Viele haben einen teilweise recht schwarzen, **Humor** als Lösung für sich entdeckt und wenn man gemeinsam herzlich lacht, ist das nicht auch lebenswert?

Schwer wird es natürlich bei nonverbalen Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbeeinträchtigungen, aber auch hier: hat man beispielsweise einmal mit einem schwerstmehrfachbehinderten Menschen engen Kontakt aufgenommen (ja das geht auch ohne Einsatz verbaler Kommunikation), einmal erlebt, wie ein solcher Mensch große Freude z.B. durch Berührung empfindet, würde man solche Aussagen scharf überdenken, denn was ist lebenswert?

Eventuell hat eben dieser Mensch (natürlich ist ihm das nur unter guter Pflege möglich) ein erfüllteres Leben als ich, vielleicht gerade, weil er über einiges nicht nachdenken muss sondern in seinem sinnlichen Wahrnehmen „Lebenssinn“ finden kann. 

Mehr als einmal wurde ich in den letzten Jahren vom übersprudelnden Lebenswillen, teilweise sehr stark behinderter und/oder kranker Menschen zu Tränen gerührt, dagegen ist meine Energie reichlich schwach ausgeprägt, das ist mir seit dem bewusst. 


Wir sollten uns lieber einmal mehr fragen, ob wir nicht Menschen mit Beeinträchtigungen noch offener begegnen können, Barrieren abbauen können oder es nicht doch auch viel von ihnen zu lernen gibt, egal um welche Art von Einschränkung es sich hierbei handelt, erfordert es doch immer kreativen Umgang damit, um diese Einschränkung auszugleichen. 

Wie oft musste ich nach kurzem stutzen zugeben: Stimmt, nur weil ALLE das so machen, kann man es trotzdem auch ganz anders lösen und sehe seit dem Vieles entspannter. 

Gerade auch die Kompetenzen in anderen Bereichen z.B. die oft sehr überdurchschnittliche Fähigkeit einiger Menschen mit Trisomie 21 Emotional „mitzuschwingen“ hat mich tief beeindruckt. 

So kann man vielen Menschen „ohne Behinderung“ oft vorspielen, es würde einem gut gehen, dann kommt man zur Arbeit und trifft auf einen „Downie“ und dieser beginnt sofort zu weinen und streichelt mir über den Kopf, denn er lässt sich nicht so leicht täuschen, er spürt sofort, dass es mir schlecht geht, ganz tief drinnen. Diese Begegnungen haben dann auf Menschen wie mich oft eine heilende Wirkung gehabt, ohne dass man sich hätte verbal erklären müssen wurde man ganz angenommen im aktuellen „So-Sein“, das tut dem Herz gut! Davon könnte unsere Gesellschaft deutlich mehr gebrauchen, anstatt jegliches Kind, welches eventuell am oben genannten Gendefekt „leidet“ abtreiben zu lassen! 

Dass Menschen in Deutschland ihr Leben nicht beenden lassen dürfen und einige bei schwerer Krankheit nicht mehr Leben wollen steht auf einem ganz anderen Blatt und würde hier den Rahmen sprengen. Auch, dass Ethikkommissionen hier teilweise sehr schwere Entscheidungen treffen müssen steht definitiv außer Frage und ich bin froh, solche Entscheidungen nicht treffen zu müssen.


**Ich möchte deshalb an alle „Kritiker“ appellieren, den gesellschaftlichen Druck, der leider stetig zunimmt, vor allem auf werdende Eltern aber auch gegenüber Ärzten zu reduzieren und sich nicht durch unsachliche Kommentare in diese intime Entscheidung einzumischen!**

Und jedem Menschen, der meint, einschätzen zu können, dass z.B. ein Mensch mit Down-Syndrom kein lebenswertes Leben führen kann, dem lege ich nahe mal einen Tag mit einem solchen Menschen zu verbringen, ich vermute es könnte der lustigste, abwechslungsreichste Tage seines Lebens werden…

Deshalb, meiner Meinung nach:

# Machen verschiedene Menschen, gerade durch ihre Art anders zu leben, unsere Welt viel bunter und bereichern somit unsere Gesellschaft!!!


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# Einige Fakten die zum nachdenken anregen sollten:

-Die absolute Mehrzahl der Beeinträchtigungen sind nicht angeboren - eine Sicherheit, ohne Behinderung durch's Leben zu kommen gibt es nicht!

-Bereits 2001 wurden in den USA weit über 300 Klagen wegen „wrongful birth“ eingereicht, hierbei wird (vor allem den Krankenhäusern und Ärzten) Behinderung als „vermeidbarer Irrturm“ angelastet. 

-9 von 10 Schwangerschaften mit erhöhtem Trisomie 21-„Risiko“ werden durch Abtreibung beendet. 

-Nie gab es so gute medizinische wie heilpädagogische Bedingungen für Menschen mit Down-Syndrom wie heute! Die Fördermöglichkeiten wachsen stetig, von inklusiven Kitas bis Schulbegleitung wird das Angebotsspektrum breiter und die Perspektiven könnten damit für diese Menschen positiver denn je sein!

-Trotz Trisomie 21 kann das Kind vollkommen gesund sein, Behinderung darf nicht mit Krankheit verwechselt werden.

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Auch wenn das folgende Video ein wenig wie ein „Werbespot“ anmutet, so denke ich die Kernaussage ist doch wahr und es hat mich damals, als ich es das erste mal gesehen habe, tief berührt. Am besten ist es wohl immer, die „Experten“ selbst zu Wort kommen zu lassen! 🙂

https://www.youtube.com/watch?v=qLH0sywga0U


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# Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! 🌸

# Wie steht ihr zum Thema? Gerne könnt ihr eure Erfahrungen und Meinungen in den Kommentaren mitteilen.

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Quellen:

[Doku Designerbabys & Gentechnik] 
https://www.youtube.com/watch?v=duSxjY3Fd0Y

Handbuch Heilpädagogik 2. Auflage Bildungsverlag EINSHerausforderungen der Heilpädagogik im 21. Jahrhundert S. 64 Zitat Speck, 2001 Seite 35

https://www.welt.de/gesundheit/article138611894/Neun-von-zehn-Frauen-lassen-Baby-dann-abtreiben.html

https://www.hebammenblog.de/trisomie-21-babys-mit-dem-gewissen-extra-chromosom/

Bilder: https://pixabay.com/

Siehe auch:

 ARD Ein unvorstellbares Dilemma - Die Pränataldiagnostik
 https://www.youtube.com/watch?v=o1MisjVqY34
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